(Monday) September 05, 2016 - 20:00
Unter Deck - Oberanger 26 (Map)
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5.0/5 (1)
DESCRIPTION
Das Zwiebelprinzip
Jens Rachut wieder! Alben seiner unzähligen Bandprojekte verfahren meist nach dem Prinzip durch die Brust ins Auge . Heimtückisch rödeln sie vorläufig an einem vorbei, bis sie sich irgendwann wie eine Zwiebel Schicht für Schicht häuten und die bizarren, unverdaulich rohen Texte erst nach mehreren Hördurchläufen ihre Intentionen preisgeben. Dahingehend unterscheidet sich auch Alte Sau nicht von anderen Veröffentlichungen des Punkrock-Großmeisters. Ein paar Unterschiede sind dann aber doch offenkundig.
Vor allem Gitarren, die auf der letzten Kommando-Sonne-Nmilch-Platte You pay I fuck noch beherzt in die Riffkiste gegriffen haben, wird man auf Alte Sau vermissen. Raoul Doré am Schlagzeug und Rebecca Oehms an Orgeln und Synth-Bass sind dieses Mal die einzigen Unterstützer. Die Dame, die gemeinsam mit Rachut schon bei N.R.F.B. elektronischere Pfade beschritt, darf dabei nicht nur an den Tasten etliche Hauptrollen übernehmen, sondern auch allerlei Brocken Gesang beisteuern. Dieser Masterplan geht auf, und Rachuts lyrisches Krakeelen tritt dadurch wiederum noch etwas mehr ins Rampensaulicht.
Rachut vermeidet auch weiterhin den Zirkus des sogenannten Business und beobachtet aus seinem gedachten Exil scharf die genormten Verhältnisse: Das Gerede der Leute ist wie ein Geschwür. Es folgen Kritik an politisch korrekten Sozialstrukturen in Druck , an Exklusivitätsverhältnissen in Paarbeziehungen in Besitz und der etwas andere, lauthals pöbelnde Umgang mit der kleinen Hexe und Religion in Hexenjagd : Braucht man wirklich Götter / Glauben ist jetzt Pflicht / Schmeiß' einen Stein ins Wasser / Schwimmen wird er nicht.
Das alles wird nimmermüde vom Drum-Radau vorangetrieben, während die Tastenbegleitung mal disharmonisch und bedrohlich-wavig, mal heiter karikierend Beistand leistet. Und einen Frauenchor gibt es natürlich auch wieder, der beispielsweise in Lausanne NDW-artig über ach so schlaue Kommentare aller Anderen mitwettert. Ansonsten ist Alte Sau aber vom Vorwurf der Artigkeit freizusprechen, weil es Rachut erneut originell gelingt, in Alltags- und Beziehungsszenen Rüffel an den vorherrschenden Ordnungen anzubringen und auszuteilen. Da kann einem die geschälte Zwiebel auch schon mal Pipi in die Augen treiben. Oder im Falle von Jens Rachut und Alte Sau vielleicht sogar echten Morgenurin.